
Unter dem Motto „Erinnern für die Zukunft“ hat das BBgR am 08. Mai um 18:00 Uhr vor dem Kriegerdenkmal am Marktplatz dazu eingeladen, öffentlich darüber zu sprechen, wie ein Gedenkort für die Opfer des NS-Regimes in Delmenhorst und die KämpferInnen aus dem Widerstand sein könnte. In Redebeiträgen wurden folgende Positonen und Forderungen vertreten, die von einem kleinen Kreis von Interessierten aufmerksam verfolgt und begleitet wurden. Wir dokumentieren hier Auszüge aus den Redebeiträgen.

Cagla von der DIDF-Jugend in Delmenhorst, sagt: "Heute, am Tag der Befreiung, gedenken wir den Millionen Menschen, die unter der Nazi-Diktatur leiden mussten – und fragen uns gleichzeitig: Was hat die Welt daraus gelernt? Die Antwort ist bitter: Zu wenig. Denn noch immer sterben Kinder in Kriegen, noch immer wachsen Millionen in Armut auf, noch immer werden Menschen wegen ihrer Herkunft oder ihrer Überzeugung verfolgt. 1,5 Millionen Kinder wurden während der NS Zeit ermordet. Eine Million davon waren jüdische Kinder. Mindestens 5.000 bis 10.000 Kinder und Jugendliche mit Einschränkungen wurden in speziellen Einrichtungen getötet. Und als der Krieg endlich vorbei war, waren die Überlebenden oft allein: ca. 500.000 Kriegswaisen und über 10 Millionen Halbwaisen blieben zurück.
Doch das Leid war noch nicht vorbei. Flüchtlingskinder wurden ausgegrenzt, weil sie einen anderen Dialekt sprachen. Sie litten unter Hunger, Krankheiten und der ständigen Angst vor der Zukunft. 27 Millionen Kinder konnten nach dem Krieg nicht zur Schule gehen, weil alles zerstört war. Und heute? Die Geschichte wiederholt sich – weltweit.
- Beim Ukraine-Russland Krieg wurden über 2.000 Kinder getötet oder verletzt. Millionen leben unter ständiger Bedrohung, ohne Strom, ohne sauberes Wasser, ohne Sicherheit.
- Im Bürgerkrieg in Kongo sind Hunderttausende Kinder in Lebensgefahr – verletzt, vertrieben oder von ihren Familien getrennt. Schulen sind geschlossen, Krankenhäuser überfüllt. 8.000 Kinder sind bereits gestorben.
- Im Palästina-Israel Krieg gibt es Tausende tote Kinder und Jugendliche. Mehr als eine Million Kinder im Gazastreifen leiden unter Hunger, Durst und zerstörten Krankenhäusern. Vor ca. einer Woche wurde eine Hilfslieferung nach Gaza geschickt welche jedeoch vor der Küste von Malta bombardiert wurde.

Nadja von den Grünen brachte sich mit folgendem Beitrag ein: Heute, am 8. Mai, stehen wir hier am Markt-platz, vor dem Kriegerdenkmal, und erinnern uns. An das Ende des Zweiten Weltkriegs. An
die Befreiung vom Nationalsozialismus. Und an die
Menschen, die in Delmenhorst unter diesem Regime gelitten haben – als
Zwangsarbeiter:innen, als Verfolgte, als Widerstandskämpfer:innen. Der 8. Mai ist ein Tag der Befreiung – und er ist und bleibt ein Tag der Verantwortung. Denn Geschichte ist nichts
Abgeschlossenes. Geschichte kann sich wiederholen. Sie wirkt nach – in unseren Städten, in unseren Familien, in unseren politischen Debatten. Deshalb ist es so wichtig, dass wir auch hier in
Delmenhorst Orte des Erinnerns schaffen. Gedenkorte, die deutlich machen: Auch hier war das Unrecht. Durchgeführt von Nachbarn, Freunden, Familienmitgliedern. Auch hier gab es Mitläufer – aber
auch hier gab es Mutige, die sich widersetzt haben. Es war Gleichgültigkeit und Eigeninteressen, die diese Gräueltaten möglich gemacht haben. Aus diesen kollektiven Erfahrungen müssen wir lernen.
Diese Gleichgültigkeit dürfen wir uns heute nicht leisten – wir müssen Unrecht widersprechen. Denn der Rechtsextremismus ist wieder da – laut, organisiert, gewalttätig. Und schlimmer noch: Er
versteckt sich nicht mehr.
Er sitzt in unseren Parlamenten in Brüssel, Berlin, Hannover und Delmenhorst. Er relativiert die Verbrechen des Nationalsozialismus. Und er findet dafür Zustimmung. Und wir bezahlen heute mit
unseren Steuergeldern diesen Rechtsextremisten ihren Unterhalt, ihre Mitarbeitende und ihre Wahlwerbung. Damit muss Schluss sein!
Ein Viertel der Menschen in Deutschland stimmt heute der Aussage zu, Hitler wäre ohne die Judenvernichtung ein großer Staatsmann gewesen. Das ist keine bloße Provokation. Das ist blanker
Geschichtsrevisionismus.
Deshalb müssen wir als breite Gesellschaft eine klare Haltung zeigen. Erinnern heißt: Widersprechen. Erinnern heißt: Die Opfer nicht vergessen lassen. Erinnern heißt: jede rechtsextreme
Bestrebung entgegen treten. Erinnern heißt: Den Mut derjenigen ehren, die damals „Nein“ gesagt haben. Auch wenn sie dafür ihr Leben riskierten.
Und Haltung heißt heute: Keine Normalisierung von Menschenverachtung. Keine Gleichgültigkeit gegenüber rechter Gewalt. Keine Relativierung des Holocausts. Wir erinnern – für die Zukunft.
Damit „Nie wieder“ nicht nur ein Satz bleibt, sondern unsere gemeinsame Verpflichtung.
Vielen Dank."
Hans-Joachim Müller vom BBgR schloss die Kundgebungen mit folgendem Redebeitrag: "Am 8. Mai 1945 war der Krieg in Delmenhorst schon beendet. Die Briten hatten am 20. April Delmenhorst erreicht. Im Stadtnorden fanden noch zehn Tage Kämpfe statt, weil deutsche Truppen den Vormarsch der Allierten noch zu stoppen glaubten. Die Delmenhorster NS-Führer waren nach Hude geflohen. Wie die Parteielite in Berlin entzogen sie sich feige ihrer Verantwortung. Für sie war das Kriegsende die totale Niederlage, das Ende ihrer Träume von deutscher Rassenüberlegenheit und vom Herrenmenschentum. Delmenhorst hatte von diesen Träumen scheinbar zunächst profitiert. Nach der verheerenden Weltwirtschaftskrise ab 1929, die auch die Nordwolle und andere Wirtschaftszweige massiv getroffen hatte, zeigte die verbrecherische Aufrüstungspolitik der Nationalsozialisten, die durch massive Schulden gegenfinanziert war, auch in Delmenhorst seine Wirkung. Seit 1934 begannen die Pläne zur systematischen Militarisierung Delmenhorsts. Zunächst beschloss der Stadtrat und die Wehrkreisverwaltung im Mai 1934 die Errichtung der Caspari-Kaserne in Deichhorst. Der erste Bauabschnitt wurde im Oktober 1935 eingeweiht. 1935 begann auch der Bau der Boelcke-Kaserne in Adelheide. Hier entstand ein Fliegerhorst mit Flugplatz. Innerhalb kürzester Zeit waren zwei Kasernen in Delmenhorst und Adelheide entstanden.Nur scheinbar ging es Delmenhorst nun besser. Am 1. September 1939 flogen dann von Adelheide Flieger des Kampfgeschwaders Boelcke Angriffe auf Warschau und waren somit direkt an den ersten Kampfhandlungen des Zweiten Weltkriegs beteiligt. Dies ist mehr als ein Symbol für die tiefe Verstrickung Delmenhorsts in den von Deutschland verbrecherisch geführten Zweiten Weltkrieg. In Delmenhorst litten Zwangs- und KZ-Arbeiter in den zahlreichen Sammellagern und schufteten für die kriegswichtige Industrie. Sie gehörten zu denjenigen, die am 20. April 1945 die Briten jubelnd mit Blumen am Schützenplatz als Befreier begrüßten. Die meisten Delmenhorster reagierten aber an diesem Tag anders, wie der Aktivist der linken Arbeiterbewegung und spätere Gründer der VHS Wilhelm Schroers (1900-1981) in seinen Lebenserinnerungen festgehalten hat: „Es waren herrliche Apriltage. Auch der 20. April war ein sonnenreicher Tag. Er unterschied sich seit 12 Jahren dadurch, dass keiner des geliebten „Führers“ gedachte. Man sah keine Hakenkreuzfahne. Manche waren zu sehr damit beschäftigt, ihre Fahnen zu verbrennen oder zu vergraben. Einige nähten nun schon weiße Flaggen.“ (Wilhelm Schroers, Lebenserinnerungen. Delmenhorst 2018, S.135). Für die meisten war der Tag ein Tag der schmerzlichen Niederlage, an dem sie der neuen Situation pragmatisch ins Auge sahen. Viele hatten das NS-System unterstützt, sich wenigstens angepasst oder aus ihm Vorteile gezogen, z.B. auch von Raub des Eigentums der Juden, die geflohen oder vernichtet waren. Nur sehr wenige Delmenhorster hatten wie Wilhelm Schroers aktiv Widerstand geleistet. Dafür saß er insgesamt mehr als zwei Jahre in Haft oder befand sich in NS-Lagern. Manchen Delmenhorstern gelang es in den folgenden Tagen, dass ihnen die Wahrheit über das NS-Regime die Augen geöffnet wurden. Zu ihnen gehörte die damals gerade 17jährige Elfie Walther, die aus deutschnationalem Elternhaus stammend als junges Mädchen dem „Bund Deutscher Mädel“ (BDM) angehörte. Die britischen Besatzer verpflichteten sie und andere junge Delmenhorster BDM-Mädchen am 29. April 1945, im gerade befreiten Kriegsgefangenenlager Sandbostel (bei Bremervörde) zu helfen. Das fürchterliche Grauen, das Elfie Walther dort entgegenschlug, veränderte ihre Haltung zum NS-Regime grundlegend. KZ-Insassen wurden noch in den letzten Kriegstagen hierhin deportiert. Sie und die ausgezehrten und halb verhungerten Kriegsgefangenen aus aller Herren Länder mussten gewaschen und gepflegt werden. Am 2. Mai schrieb Elfie Walther in ihr Tagebuch: „Nachts musste ich immer an all das Schreckliche denken. Das glaubt uns ja zu Hause keiner, wenn wir das berichten. Ich musste immer daran denken, wie wir den Führer geliebt und verehrt hatten. Alles, was der uns sagte, war Lüge! Was ist das denn gewesen, der Nationalsozialismus? Wir dachten doch immer, das sei etwas Schönes und Edles. Wieso war alles so grausam? Warum bringen sie denn so unschuldige Menschen um, die so hilflos sind? Man kann doch mit seinen Feinden nicht so umgehen! Das ist ja unfassbar. In dieser Nacht bin ich endgültig fertig geworden mit all dem, was ich für gut gehalten habe.“ Elfie Walther nutzte das Trauma der Begegnung mit dem vielfachen Tod in Sandbostel zur völligen Neuorientierung ihres Wertesystems. In der Bundesrepublik und auch in Delmenhorst setzte sich in den nächsten Jahrzehnten nur zögerlich eine Erinnerung an die NS-Zeit durch, die den 8. Mai als Tag der Befreiung deutete. Vor allem die Rede des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker zum Kriegsende am 8. Mai 1945 markiert hier einen wichtigen Wendepunkt. Deutsche erinnerten aktiv der Verantwortung für die Untaten des NS-Regimes. Diese Haltung wird durch die Neue Rechte, die auch in Delmenhorst Fuß gefasst hat, immer mehr ausgehöhlt. Die Untaten des NS-Regimes werden relativiert, das Leid der Deutschen im Krieg ohne den Kontext, dass die meisten Deutschen dieses Leid heraufbeschworen hatten, in den Mittelpunkt gestellt. Der AfD-Politiker Björn Höcke verurteilte am 17. Januar 2017 in seiner Dresdener Rede vor der „Jungen Alternative“ die Worte Richard von Weizsäckers explizit und forderte eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“. Wenn Höcke sagte : „Bis jetzt ist unsere Geistesverfassung, unser Gemütszustand immer noch der eines total besiegten Volkes.“ so spricht er aus, was die Neue Rechte will: Eine Relativierung des von den Deutschen begangenen Unrechts und eine nationalistische Ausrichtung der Erinnerungskultur, die deutsche Stärke und deutsche Erfolge ins Zentrum rücken. Das „Edle und Schöne“, dem Elfie Walther bei den Nationalsozialisten aufgesessen war, steht für die Höckes unserer Tage im Mittelpunkt. Wohin diese Geschichtsvergessenheit führt, ist für das Breite Bündnis gegen Rechts in Delmenhorst offenbar: Sie führt in ein neues Unglück. Daher fordern wir am 8. Mai 2025, 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs: Delmenhorst sollte sich des Geistes Wilhelm Schroers erinnern und die nationalradikale Neue Rechte mit Argumenten bekämpfen: Der 8. Mai ist ein Tag der Befreiung und nicht der Niederlage!
Das BBgR ruft dazu auf, sich für die Zukunft zu erinnern. Der „Tag der Befreiung“ sollte die Gruppen, die diesen Tag auch wirklich so erlebt haben, in den Mittelpunkt rücken. In der
Delmenhorster Erinnerungskultur gibt es dazu schon einiges: Das Mahnmal am Bahnhof und de Stolpersteine rufen die jüdischen Opfer in Erinnerung. Nun dank Norbert Boese, dem Vorsitzenden des
Freundes und Förderkreises der Jüdischen Gemeinde, gibt es auch Stolpersteine für die Euthanasieopfer der Stadt. Für die Zwangsarbeiter*innen bieten zwei Friedhöfe der Stadt Gedenkorte, die aber
angesichts des Umfangs der Zwangsarbeit nur ansatzweise angemessen erscheinen. Dem Widerstand in Delmenhorst bieten drei Straßennamen im Brendel seit 2011 nun Erinnerungsorte: Paul Schipper, dem
mutigen Pastor der Bekennenden Kirche, Otto Gratzki, dem SPD-Politiker und Handelsschullehrer und für Elfriede Gollsch von den Zeugen Jehovas. Auffällig ist, dass bei den Diskussionen über die
Straßenbenennungen die Vorschläge nach kommunistischen Widerstandskämpfer*innen von der Ratsmehrheit bewusst übergangen wurden. Dabei hatte noch Paul Wilhelm Glöckner in seinem grundlegenden Buch
zum Widerstand in Delmenhorst konstatiert: „Den entschiedensten Kampf gegen den Faschismus haben von Anfang an auch in Delmenhorst die Kommunisten geführt.“ (Paul Wilhelm Glöckner, Delmenhorst
unter dem Hakenkreuz. Band II: Der Widerstand. Delmenhorst 1983, S. 7). Das Breite Bündnis gegen Rechts fordert eine angemessenere Erinnerungskultur in Delmenhorst, in der die Opfergruppen und
auch die Widerstandskämpfer*innen, die den Tag der Befreiung auch als solchen erlebt haben, wirklich sichtbar werden. Dazu laden wir zu Diskussionen ein. Das Breite Bündnis hat in
Kooperation mit der VHS eine Vortragsreihe zum Widerstand im Nationalsozialismus initiiert, die im Herbst die nächsten Veranstaltungen u.a. zu Wilhelm Schroers bieten wird. Kommen Sie dazu!
Diskutieren Sie mit!
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